Big Stick – LP
Mit „Crack ’n‘ Drag“ sorgten Big Stick 1988 in Indie-Kreisen für Furore. Brachialer Sound, übersteuerte Lo-Fi Produktion und zerhackte Rhythmen zeichneten Stücke wie ‚Crack Attack‘, ‚Billy Jack Paddy Wack‘ oder ‚Shoot The President‘ aus. Der paranoide Schrei/Sprechgesang von John Gill tat sein übriges um dieses Werk total irre klingen zu lassen. Die leicht erotisch angehauchten Sprecheinlagen seiner Partnerin Yanna Trance holten dabei, die auf den ersten Blick chaotisch wirkenden Songs, wieder auf den Boden zurück.
‚Drag Racing‘ ist und bleibt ihr größter ‚Hit‘ und symbolisiert nebenbei ihr ungebrochenes Faible für dieses ureigene amerikanische Sportspektakel.
Nach „Crack ’n‘ Drag“ wurde es ruhiger, zwei Alben gab es in den Neunzigern und 2004 noch eine Compilation. Wie klingen Big Stick nun also 15 Jahre danach?
Zahmer, aber nicht zahnlos
15 Tracks sind auf ‚LP‘ versammelt, und auch wenn das musikalische Setting sofort vertraut wirkt, wird ebenso schnell klar, das Big Stick es für ihre Verhältnisse gesitteter angehen lassen. Die Produktion ist sauber ausgesteuert, die Schlagzahl ist niedriger und durchgängiger.
Auch Gill’s Stimme hat sich geändert. Er klingt jetzt viel sonorer und abgeklärter, was mich allerdings ein wenig traurig macht. Trance bleibt bei ihren bewährten Sprecheinlagen, nimmt aber mit diesen auch mehr Raum ein. Diese beiden Aspekte haben zur Folge, das einige Songs doch etwas zu nett vorbeiplätschern.
Viele Köche verschwinden in der Küche
Das Songwriting ist vielleicht als groovig zu beschreiben, ‚Stop The B******t‘ und ‚Soul Shaker Town‘ und ‚Venomous Voodoo Princess‘ klingen nach einem Abend in einem kleinen und verschwitzten Keller-Club. Das liegt wahrscheinlich auch am Saxofon, das von Gastmusikern beigesteuert wurde. Von diesen wiederum finden sich einige auf dem Album. Besonders interessant sind dabei Drummer Johnny Kelly (Type O Negative), der den Song ‚Hoochie Express‘ richtig schön dreckig macht und Fred Schneider von den B-52s, der in seiner unnachahmlichen Art die ‚Hot Sauce‘ propagiert. Von den übrigen Gästen bekommt man mehr oder minder nicht viel mit, weder die Trompeten noch die Gesangparts stechen für mich besonders heraus.
Wohlschmeckende Texte
Textlich geht es auch weniger provokativ zu, keine Herausforderungen oder politischen Statements wie zu Zeiten von ‚Crack Attack‘ und ‚Jesus Was Born (On An Indian Reservation)‘ finden sich auf ‚LP‘. Hier werden ‚Potato Chip Dip‘ und die besagte ‚Hot Sauce‘ besungen und selbstverständlich dem Drag Racing (‚Burning Rubber‘) gehuldigt.
Der absolute Kracher ist ‚Calamari Coco Butter‘. Dieses Stück ist pure Anarchie lässt in 75 Sekunden alle Lautsprechersysteme durchbrennen. Davon hätte es gerne mehr sein können.
Der König bleibt auf dem Thron
Für mich ist das 88’er-Werk nach wie vor die Referenz und daran messe ich auch Big Stick. Die beiden haben sich ihre grundsätzliche, musikalische Eigenheit erhalten, sind aber insgesamt ruhiger geworden. Das kann man ihnen nach über dreißig Jahren im Geschäft natürlich nicht vorwerfen, und die Tatsache, das es sie noch gibt, lässt mich über die ein oder andere laue Nummer ein Auge zudrücken.
Gleichzeitig ist übrigens auch ein Best-of mit 10 Stücken erscheinen (‚Some Of The Best Of Big Stick‘), was über für Streaming-Dienst-Nutzer eher überflüssig ist, denn die sollten sich lieber ihre eigene Playlist erstellen. (3/5 • 80%)