KurzvorstellungenListenMusik

Sprachlos: Front Line Assembly, Front 242 + Foetus

Lasst die Mikrofone in der Schublade und schont eure Stimmen. Zwar bin ich kein großer Freund von reinen Instrumental-Alben, aber bei der Fülle an Veröffentlichungen der letzten Zeit sehe ich mich zu einer kleinen Betrachtung aufgefordert.
Front Line Assembly – Warmech
Meine Vorfreude über ein neu angekündigtes Front Line Assembly Album nach fünf Jahre Funkstille erlosch ziemlich schnell wieder, als ich hörte, das es ein Instrumental-Album sein wird. Dabei hätte der Titel ‚Warmech‘ mich schon aufhorchen lassen müssen. Denn wie schon bei ‚Airmech‘, das 2012 erschien, handelt es hier um den Soundtrack zu einem PC-Spiel. Die Band um Bill Leeb träumte bekanntlicherweise bereits in den Achtzigern davon, Filme oder Spiele zu vertonen. Herausgekommen ist ein sehr flächiges Album, gespickt mit allerlei intelligenten Versatzstücken und durchdachten wummernden Sequenzen. Es spiegeln sich viele Facetten aus anderen Projekten wie Synæsthesia, Intermix, und besonders Delirium wider. Viel Atmosphäre und liebevolle Detailarbeit heben sich hervor. Jeremy Inkel war das Beste, was der Band in den letzten Jahren passieren konnte. Der Programmierer und Soundtüftler hat die Band vor dem Vergessen bewahrt und den Klang kontinuierlich weiterentwickelt. Technisch ist ‚Airmech‘ wieder einmal eine Klasse für sich. Ob Bill Leeb selbst dazu in der Lage gewesen sein wäre, möchte ich bezweifeln. Inkel verstarb Anfang 2018 unerwartet an einer Asthma-Komplikation, also noch vor der Veröffentlichung. Doch auch wenn diese Scheibe das Vermächtnis eines großartigen Musikers der elektronischen Zunft ist, zündet es bei mir einfach nicht. Es dürfte hervorragend ein Gameplay oder Science Fiction Film aufwerten, aber den normalen Konsumfall kann ich mir für mich nicht vorstellen. Auch wenn Leebs Gesangsmuster sich nie wirklich weiterentwickelt hat, hier fehlt aus auf Dauer dann doch irgendwie. Außerdem hätte ich mir ein wenig mehr organischere Klänge gewünscht, ein wenig Metall vielleicht. Bei den meisten Songs ertappe ich mich, das meine Konzentration wegkippt und ich nicht mehr bei der Sache bin. ‚Heatmap‘ ist recht forsch und gefällt mir zu einem gewissen Grad gut und auch ‚Force Carrier‘ und ‚Meteorfall‘ sind abwechslungsreich genug, um mal wieder gehört zu werden.
Mittlerweile ist Rhys Fulber, Leebs Kumpel aus den alten und den erfolgreichsten Zeiten der Band, wieder dazugestoßen, und ich bin gespannt, wie er den Klang der Zukunft beeinflussen und gestalten wird. Fulber selbst hat derweil auch unter seinem Namen ein Instrumental-Album herausgebracht. (2/5 • 33%)
Rhys Fulber – Your Dystopia, My Utopia
Der Kanadier hat auf seinem Album einen etwas anderen Ansatz als FLA. Aggressiver, geradliniger und mit intelligent gesetzten Sprachsamples pochert er dem Hörer seine Songs Stück für Stück in die Gehörgänge. Die Stücke wirken dunkler und unheilvoller, spannender und kommen meist stampfend daher. Die Sequenzer erinnern dabei gerne an klassischen EBM (‚Creosote‘, ‚Anhedonia‘). Und auch wenn sich die Geschwindigkeit der stampfenden Stücke nicht wesentlich unterscheidet, wird das Album nicht langweilig. Ein paar Verschnaufpausen gönnt Fulber dem Hörer immer wieder einmal innerhalb der Stücke, doch immer nur wohldosiert. ‚Your Dystopia, My Utopia‘ eignet sich aufgrund des stetigen Drucks und Stampfens zwar auch nur bedingt zum Nebenbei hören, ist aber ein Garant für Erfolge beim Workout. (3/5 • 77%)
Daniel B. Prothese – Chzwaar+zme+aal
Erwartungsgemäß etwas verschwurbelter geht es beim Front 242 Gründer und Klangkomponist Daniel Bressanutti zu. Als Bekenner des Krautrocks und Psychedelia überraschte er mit seiner Handschrift bereits auf den zuletzt veröffentlichen Alben der Band und machte sich damit nicht unbedingt viele Freunde. Nun veröffentlicht er im Eigenvertrieb, bedient sich bei EBM und Ambient und bricht alles irgendwie auf. An und für sich ist dieser Output nicht wirklich in Worte zu fassen, und doch kann man direkt beim Opener ‚Elec+roharmoniescheidung‘ heraushören, das hier einer der Produzenten der erfolgreichsten belgischen EBM-Bands an den Reglern saß. Trance und Noise geben sich die Klinke in die Hand und allerlei quietschende Soundeffekte flankieren den wabernden Klangteppich. Die Bassläufe werden mit ein paar sehr organisch wirkenden Drumeinlagen aufgebrochen und sich spannend (‚Rudd3ine‘). ‚Glow‘ hingegen ist sehr dunkel und böse, aber nicht minder aufregend, und ‚Clokdrone‘ walzt sich im Midtempo unbarmherzig seinen Weg, wobei es schnaufend und rasselnd immer wieder irgendwo hängen zu bleiben scheint, bevor es zum Ende ganz langsam sein knarzend sein Leben aushaucht. Bressanutti ist ein Meister seines Fachs, auch wenn es sich nicht immer um leichte Kost handelt. (4/5 • 44%)
Xordox – Neospection
Nicht einfacher wird es mit einem weiteren, alten Bekannten. Bereits Mitte 2017 erblickte J.G. Thirlwells neues Baby Xordox das Licht der Welt. Nach unzähligen Seitenprojekten bringt der Foetus-Mastermind hier sein, im Laufe der Jahrzehnte erworbenes Wissen in klassischer Komposition, Multiinstrumentalismus und filigraner Soundprogrammierung ein. Das Ergebnis ist ein elektronisches Album von anmutender Schönheit, eine Reise durch Licht und Schatten von kosmischer Unantastbarkeit. Zuviel des Guten? Wahrscheinlich. Zumindest kam mir dieser Gedanke beim Opener ‚Diamonds‘. Ein wenig Soundtrack-Feeling macht sich auch hier breit, allerdings mehr Perry Rhodan als Alien. Alles klingt nach Drama und Heldentum, umworben von einigen dunklen Passagen. Hier spielen sich vor meinem geistigen Auge mehr Geschichten ab als bei ‚Warmech‘. Obwohl natürlich auch rein elektronisch, klingt Thirlwells Opus erdiger und quirliger. Dennoch wird dies kein Album, das ich mir öfter anhören werde. Das technisch machbare ist das eine und die Visionen, die den Meister umtreiben, mögen so fantastisch wie angsterregend sein, aber mit seinem Ur-Projekt Foetus gefällt er mir einfach am Besten. Get down and prey! (3/5 • 50%).

 

 

 

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen