Album-RezensionMusik

Test Dept – Disturbance

Hyänen sind unter uns

Rappeln muss es im Karton.
Kaum eine andere Band hat mich in den Achtzigern so fasziniert wie Test Dept.
Neben den Einstürzenden Neubauten und Foetus waren sie mein Einstieg in den Industrial.
‚Beating The Retreat‘ (1984), ‚The Unacceptable Face Of Freedom‘ (1986, fantastisches Artwork), und ‚A Good Night Out‘ (1987) sind Alben, die bei mir rauf und runter liefen. Kalt, metallisch, überzogen mit reichlich wütenden Vocals oder manchmal auch nur vor sich hinratternde und knarzende Maschinenklänge aus der Schwerindustrie bestimmten das Klangbild.
Bis 1997 testeten die Briten getreu ihres Namens alles aus, begeisterten mit großartigen Live-Performances im Atonal in Berlin und auf Kampnagel in Hamburg (1985) oder brachten in Kooperation mit  der Avantgarde Theater-Truppe Britt Gof das monumentale ‚Gododdin‘ auf europäische Bühnen, in dem eine keltische Minderheit von einer Übermacht von Engländern angegriffen wird. Zuletzt drifteten sie mir allerdings etwas zu sehr in technoide Gefilde ab und verloren an Entschlossenheit.
2016 entschieden die beiden Mitbegründer Paul Jamrozy, Graham Cunnington, das die Welt erneut ein weiteres Statement vom Test Dept bitter nötig hat.

In an ideal world, Disturbance, the new album from industrial pioneers Test Dept, would not exist. It wouldn’t need to. Britain would not stand divided by xenophobia. Working class communities would not be under siege. Capitalism would not have created a climate change crisis pushing the planet towards a dangerous brink. And the Thatcherite ideals that Graham Cunnington and Paul Jamrozy spent Test Dept’s early years raging against would not be so terrifyingly back in political vogue. 

Test Dept auf Bandcamp

Und was haben sie den Thatcherismus damals ausgebuht. Auch wenn die beiden und ihre Streitgefährten heute nicht mehr mit Eisenstangen auf Stahlplatten schlagen, sondern auf elektronische Musikinstrumente setzen, so klingen sie auf ‚Disturbance‘ fantastisch industriell und erdig.
37 Jahre nach ihrem Debüt haben sie nichts von ihrer Wut verloren. Sie klingen zwar leichter konsumierbar als in jungen Jahren, aber dennoch erfrischend unangepasst. Die Balance zwischen experimentellen Klängen, Aggressivität und eingängigen Rhythmen ist gelungen.
Die Parolen werden nicht mehr gerufen, sondern beschwörend gesprochen. Und an politischen Aussagen wird auch auf dieser Scheibe nicht gegeizt (siehe Lyrics-Video zu ‚Speak Truth To Power‘, etwas weiter unten).
Während ‚Landlord‘ der geradlinigste Song mit ordentlichem Gestampfe ist, setzt man auf ‚Full Spectrum Dominance‘ auf hypnotische Rhythmen mit Sprachsample-Fetzen. Bedrohlich dunkel geht es auf ‚Gatekeeper‘ zu, und mit ‚GBH84‘ (=grievous bodily harm/ Schwere Körperverletzung) setzt man sich noch einmal mit dem Bergarbeiterstreik in England auseinander, die vielleicht die Initialzündungen für ihre Musik und die Geburtsstunde vieler anderer Bands darstellt.
Unterm Strich ist ‚Disturbance‘ ein eindruckvolles Album geworden und gelungenes Comeback des Test Dept. Die synthetische Umsetzung und Fortsetzung ihres ursprünglichen Klangbildes versprüht Retro-Charme, auch wenn es für mein Empfinden an einigen Ecken mehr hätte krachen dürfen.
Auf jeden Fall freue ich mich, das die beiden älteren Herren und musikalische Helden meiner Jugend wieder da sind.

Test Dept
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