Album-RezensionMusik

Emilie Autumn – Fight Like A Girl

„It’s Time for war – it’s time for blood – it’s time for tea!“ – Emilies growls führen uns erneut in die bizarre und düstere Welt der Violinen-Virtuosin mit dem Hang zum morbiden. Ganze sechs Jahre liegt das letzte reguläre Album ‚Opheliac‘ zurück welches uns seinerzeit einen genau so verstörenden wie faszinierenden Einblick in eine Achterbahn von Hoffnungen und Träumen und insbesondere ihrer Abgründe bot. Die musikalische Mischung aus Industrial mit viktorianischen Stilmitteln machte ‚Opheliac‘ zu einem ‚Must-Have‘. Emilie Autumn kreierte damit ihr eigenes Genre und wurde seitdem von ihren Anhängern dafür nahezu vergöttert. 
Da könnte es schwer fallen die Anhängerschaft auf ein neues Werk einzustimmen das weniger klaustrophobisch und düster zu sein scheint. Die Amerikanerin, die immer wieder gern mit ihrer bipolaren Störung kokettiert, scheint, ganz wie im Albumtitel umschrieben, den Kampf aufzunehmen, statt sich noch wie im brillanten Song ‚Shalott‘ demütig ihrem Schicksal zu ergeben. Mutig voran auch wenn es blutig wird. Rache und Kontrolle statt ‚Death Is The New Alive‘. Der Siegeswille blitzt auf, Veränderungen sind unausweichlich. Ein bisschen viel für den einen guten Teil der Goth-Anhängerschaft, zumal sich Emilie auch musikalisch verändert hat. Doch die negativen Kommentare derer die insgesamt am liebsten einen Entwicklungsstillstand erhofft hatten sei gesagt das sich ein Auseinandersetzen mit ‚Fight Like A Girl‘ lohnt. Denn es handelt sich nicht um eine 180°-Wende. Emilie Autumn bricht nur zu neuen Ufern auf die das Korsett der Gefangenschaft aufzubrechen versprechen. Und bei einer Künstlerin die ihre Werke unter autobiografischen Gesichtspunkten aufbaut oder einfacher gesagt ihre Musik als Ausdrucksmittel ihrer selbst anwendet, muss man, besonders in ihrem Fall, mitreisen oder von Bord gehen. Bereits die letzte Tour und die Veröffentlichung des Titeltracks  deuteten unmissverständlich auf neue Zeiten hin. 
Doch was ist wirklich an ‚FLAG‘ anders?
Am auffälligsten sind Ausflüge in die Bereiche von Musical und Broadway. ‚What Will I Remember‘ könnte als klassischer Walt Disney Filmsong durchgehen, bei dem es sich der Held gerade mit seinen Freunden verscherzt hat und vor einer Sinnkrise steht. Zugegeben ist dies auch nicht gerade mein Lieblingsstück auf der Scheibe. ‚Girls Girls Girls‘ ist die Blaupause der typischen Musikrevue und eine Hommage an die Plague Rats, ihre Bühnen-Mitstreiterinnen. Was live lustig anzusehen ist funktioniert auf der Pressung allerdings nicht so richtig. ‚I Don’t Understand‘ ist auch so ein spezielles Stück, mehr Hörspiel als richtiger Song, gespickt mit Flöten und weichen Gitarrenklängen. Im Gesamtkontext passend, gerade wenn man sich auch Emilies Buch ‚The Asylum for Wayward Victorian Girls‘ vor Augen hält, dennoch gewöhnungsbedürftig.

‚Take The Pill‘ ist dann nach dem Titelstück der zweite wirkliche Hammer, der es sowohl textlich wie auch musikalisch vollends überzeugt.
Insgesamt ist die Produktion organischer geworden, zerstörerische Industrial-Soundscapes sind sehr rar gesät und ‚We Want Them Young‘ ist mit Handtrommeln unterlegt. Bei ‚If I Burn‘  kommt dann wieder das Spinnett zu einer Hauptrolle. Tolle Melodie, spannend und für ‚Opheliac‘-Enthusiasten ein Leckerbissen.
Bedrohlich wir es mit ‚Scavenger‘, das wie ein Unwetter aufzuziehen droht und sich zu einem unheilvollen Gewitter werden könnte.
Emilie Autumns Künste an der Violine sind unantastbar, auch wenn sie diese auf ‚Fight Like A Girl‘ meist nur begleitend und ohne Strom einsetzt. Aber auch ihr Stellenwert als Komponistin steigt mit dieser Veröffentlichung immens. ‚Gaslight‘ ist so komplex wie eingängig, auch wenn es Kritiker als ein wenig schnulzig abtun könnten.  Der Reprise von ‚4 o’Clock‘ ist, genau so wie das ‚Gaslight-Reprise‘ Pendant, traumhaft schön und mit ‚Goodnight Sweet Ladies‘ klingt bereits wie der harmonische und glückselige Abschied, wie nach dem erfolgreichen Ende einer langen Reise (geschickt wurden hier auch Textfragmente von ‚4 o’Clock‘ eingebaut).
Das sich ihre und unsere Welt aber weiter bewegt wird dann aber noch mit ‚Start Another Story‘ angekündigt und mit dem Mut machenden Marsch ‚One Foot In Front Of The Other Foot‘ unterstrichen. Vor dem geistigen Auge sehe ich Emilie Autumn förmlich mit der wehenden Fahne zum Kampf der eigenen Freiheit vorausschreiten. 
Und genau darum geht es. Die amerikanische Ausnahmekünstlerin mit dem Hang zu extrovertierten  Live-Shows produziert Kopfkino, großartige Kompositionen. Wer sich darauf einlassen will wird es nicht bereuen und erhält ein Album, das vielleicht nicht mehr so bahnbrechend wie ‚Opheliac‘ ist, jedoch zu den Anwärtern zum besten Album des Jahres gehört. Dazu gibt es außerdem liebevolles und hochwertiges Artwork. Und wer möchte, auch Tee…

http://www.emilieautumn.com/
Vorhören: http://www.asylumemporium.com/collections/music/products/fight-like-a-girl-album

0 Gedanken zu „Emilie Autumn – Fight Like A Girl

  • Eine ausgezeichnete und sehr ausführliche Auseinandersetzung mit diesem Album. Ich kenne (noch) kein einziges Stück von Emelie Autumn, muss dies aber nach dieser Rezension unbedingt nachholen. Vielen Dank für diesen appetitanregenden Beitrag.

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