KonzertMusik

Evelyn Evelyn 29.04.2010 @ Kampnagel HH

Wer glaubt das man für einen unvergesslichen Konzertabend zwingend viel Technik wie Laser und überdimensionale Projektionswände braucht, wurde an diesem Abend eines besseren belehrt.
Was man wirklich braucht sind Akteure, die ihr Handwerk beherrschen und einfach gut drauf sind. Aufgrund der Brillanz der drei Hauptdarsteller und ihrer Liebe zum Publikum vergingen vier Stunden wie im Fluge.

I. Sxip Shirey
Der New Yorker Komponist und Performer erzählt Geschichten und untermalt diese mit Geräuschkulissen, erzeugt mit alltäglichen Gebrauchsgegenständen und Spielzeuginstrumenten.
Mithlife von Glasmurmeln, Glöckchen, Rasseln, Flöten, Mundharmonika und Megafon erzeugte Shirey, standesgemäß gekleidet in einem braun-rot gestreiften Zweiteiler, der stark an einen Schlafanzug erinnerte, Soundkollagen, die, wenn man nicht hinsah, perfekt als Filmsoundtracks durchgehen konnten. Er erzählte stark rhythmisch unterlegt von New York oder orientalisch angehaucht von Istanbul. Dabei bekam auch eine Besucherin aus dem Publikum die Möglichkeit mitzuwirken, indem sie zwei Glöcken spielen durfte. Shirey sampelte Geräusche und machte sie zu Loops und spielte die nächsten Sounds drüber. Zwar konnte man letztendlich nicht immer ganz erkennen, was vorbereitet und was live war, die Perfektion mit der er aber alles verband war grandios. Nach ungefähr vierzig Minuten machte er unter großem Applaus die Bühne frei, um ein paar Minuten später mit dem Hauptacts des Abends zurück zu kommen.

II. Evelyn Evelyn
Die siamesischen Neville-Schwestern ließen sich bitten. Shirey trat als Moderator auf bat das Publikum um einen heftigen Applaus um die scheuen Künstlernnen auf die Bühne zu locken.
Als sie nach einigen Zögern dann doch auftauchten und hinter dem Keyboard Platz nahmen, das sie zunächst akribisch mit Tüchern abwischten, stellten sie fest, das dieses nicht funktionierte und verschwanden fast wieder. Glücklicherweise konnten Shirey und ein Mitglied der Crew die Flucht noch stoppen und ein Techniker löste das Problem zügig. Nun konnte es also doch losgehen.
Das selbstbetitelte Stück eröffnete die Show, gefolgt von der Erzählung der tragischen Ereignisse im September 1985, dem Jahr in dem die Zwillinge geboren wurden. Die Geschichte wurde bildhaft mit einer kleinen Leinwand, die zwei Voluntäre aus dem Publikum halten durften, von Shirey mit Schattenspielfiguren bildhaft illustriert.

 

Es folgten weitere Hits aus dem Debütalbum, gespielt auf Akkordeon, Gitarre oder unter Zuhilfenahme vom Schlagzeug. So sorgte  ‘You Only Want Me ‘Cause You Want My Sister’ für Countryflair, der ‘Chicken Man’ mutierte teilweise zum ‘Hünschen-Mann’ und mit ‘Have You Seen My Sister Evelyn’ schnupperte man die Zirkusluft der Zwanziger. Nur beim Hit ‘Elephant Elephant’ klappte das Mitsingen des Refrains durch das Publikum leider nur bedingt. Das tat der Stimmung keinen Abbruch, insbesondere bei den Zuschauerfragen, die sie Wort für Wort abwechselnd beantworten, zeigte sich das wahre Improvisionstalent der Beiden.

Hin und wieder kamen die Schwestern ins Straucheln und flippten leicht aus. Beruhigt wurden sie dann mit Schokriegeln, die ihnen direkt in den Mund gestopft wurden (auch dies durfte jemand aus dem Publikum übernehmen). Das Finale bildete das schmalzige an die 80er erinnernde, aber textstarke  ‘My Space’.
Natürlich kamen die Beiden nach dem großen Beifall noch einmal zurück, und als sie als Zugabe die Ukulele-Version von Joy Divisons ‘Love will tear us apart’ (unter Zuhilfenahme einer plötzlichen dritten Hand, die das Instrument hielt) gaben, war es mucksmäuschenstill im Saal und die Stimmung glich einer Andacht.
Mit Evelyn Evelyn wurde ein MySpace-Märchen wahr, das wirklich zu schön ist um wirklich wahr zu sein. Das stellte auch die Tagesschau fest, die einen Bericht in ihrem Nachtmagazin kurz nach dem Konzert sendete (letzter Beitrag).

III. Jason Webley
Der Akkordeon-Virtuose und Strassenmusiker hat ein Faible für Shanties und liebt das Zusammenspiel mit deinem Publikum. Als Mitentdecker der Zwillinge bietet sich ihm an diesem Abend ebenfalls die Gelegenheit sein Können zu zeigen. Webley steigert sich voll in seine Songs und so kann es passieren, das ihm schon öfter einmal der Hut vom Kopf fliegt, wenn er zu enthusiastisch mit seinen Füßen rhythmisch auf den Boden stampft.

Webley singt Songs voller Wehmut und Frust, Angst und Wut. Und auch er bindet die Ansesenden ein: So wurde das Publikum zum Chor. Eine Hälfte sollte die Geigen spielen, die andere die Posaunen. Es wurde ein Wettstreit gegeneinander und machte Riesenspaß.
Gegen Ende seiner Performance wartete er auf eine ‘gute Freundin’, die ihren Auftritt aber leicht verpasste.

IV. Amanda Palmer
Während Webley schon einmal ‘Icarus’ anstimmte, stürmte Palmer in den Saal, während sie sich noch am Keyboard die mittlerweile standardmäßige Korsage überwarf (‘Sorry, I forgot to put my clothes on’).
Webley verabschiedet sich nach einem weiteren gemeinsamen Song und verließ die Bühne.
Amanda Palmer bietet einen Querschnitt durch ihr musikalisches Werk, es gab Songs von ihrem Soloalbum, der Dresden Dolls, sowie einige Coverstücke (u.a. Radioheads ‘Fake Plastic Trees’), außerdem ging sie auf Zuschauerwünsche ein (‘Die Seeräuber-Jenny’  von Brecht/Weill). Viele Stücke sind gewohnt dramatisch und eindringlich, sie präsentiert ein ganz neues Stück mit einem wunderbar herzzereißenden Text (leider weiß ich den Titel nicht) und sie schien für jeden Songs mitzuleiden und zu hoffen.

Dennoch wäre sie nicht Amanda Palmer, wenn ihr Auftritt nicht von lockeren Geschichten und ausgesprochenen Gedanken begleitet würden. Dabei nahm sie auch Bemerkungen aus dem Publikum auf und erzählte so unter anderem, das sie, als sie eine Zeit lang in Regensburg wohnte, in einem Brauhaus im Dirndl gejobbt hätte und das die Bayern praktisch nicht zu verstehen seien (siehe Video). Zwischendurch brachte Webley noch ein Bier (leider Köpi, was die Zuschauer auf Nachfrage Palmers, ob dieses aus Hamburg käme, missmutig verneinten). Nach ‘Runs in the family’ verließ sie die Bühne, sichtlich gerührt von den Standing Ovations, und kam schon kurz danach zurück und stimmte mit ‘Half Jack’ und dem obligatorischen ‘Coin Operated Boy’ noch einmal zwei Klassiker an.

V. Finale
In Anbetracht des immer näher rückenden 34. Geburtstages Palmers (‘Jesus died with 33…’)  tritt sie mit Webley noch einmal auf die Bühne. Die Beiden blödelten ein wenig herum, erzählten davon, das Webley in Amsterdam ein Polizeiwagen anfuhr und wieder Erwarten nicht dafür bestraft wurde, improvisierten ein wenig mit Michael Jacksons ‘Billy Jean’, und performten mit Sxip Shirey den Song ‘Electric Blanket’, der kreiert wurde, als sie Amanda Palmer einen solchen während der kalten Zeit der Tour schenkten. Auf Wunsch ein paar Einzelner am Bühnenrand spielte Palmer dann auch noch Grauzones ‘Eisbär’, und brachte dieses so nebenbei auch gleich ihrem Kollegen auf dem Akkordeon bei, der das Stück nicht kannte.
Gegen halb Zwölf dann wurde es dann feierlich; Palmers zukünftige Stieftochter kam mit einem Tablett Muffins, die im Saal verteilt wurden, es wurde ein Restkasten Bier aufgetrieben, und wer wollte, durfte auf die Bühne kommen. Es erklang ein herzliches ‘Happy Birthday’ für Amanda ‘Fucking’ Palmer.

Webley stimmte ein irisches Trinklied an und in Ermangelung an genug Alkohol mussten die Zuschauer auf den Rängen sich 12-mal um die eigene Achse drehen, um ein Feeling für den Songs zu bekommen, der dann inbrünstig gegrölt wurde.

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