Album-RezensionMusik

Evelyn Evelyn – Evelyn Evelyn

1985 erblickten die siamesischen Zwillinge Eva und Lyn Neville in Kansas-Colorado das Licht der Welt unter tragischen Umständen. Ihre Mutter stirbt bei der Geburt und die beiden Waisen wachsen auf der Farm eines Hühnerzüchters auf, der sich der Beiden annimmt.
Zusammengewachsen an der Seite, teilen sie sich drei Beine, zwei Arme, zwei Herzen, drei Lungen und eine Leber. Medizinisch gesehen sind sie damit Parapagus-Tripus-Dibrachius-Zwillinge.
1996 werden sie, nach dem Tod des Hühnerzüchters, von einem Wanderzirkus aufgenommen und entwickeln dort ihre Liebe zur Musik. Mit 19 Jahren wurden sie dann von der amerikanischen Künstlerin Amanda Palmer entdeckt. Diese erkannte sogleich das große Talent der Schwestern und half ihnen ihr künstlerisches Talent für eine neue Hörerschaft außerhalb der Zirkuswelt zu erschliessen. Zusammen mit dem Strassenmusiker und Songbarden Jason Webley kreiren sie in den sozialen Netzwerken des Internets die Marke Evelyn Evelyn, sorgen damit schon nach kurzer Zeit für Aufsehen und schaffen damit ein modernes Märchen.
Soviel zur offiziellen Version. Die Biografie der Zwillinge ist zu schön um wahr zu sein, denn in Wahrheit handelt es sich um die Fantasie von Amanda Palmer und Jason Webley, die die Zwillinge zum Leben erwecken. Verkleidet im übergroßen Kleid treten die beiden sogar live auf, um die Geschichte der Zwillinge dem Publikum in musikalischer und ezählerischer Weise näherzubringen. Und wer die beiden aus anderen Projekten kennt, kann sich sicher sein, das dies auf hoher musikalisch künstlerischer Ebene geschieht, die Komik und Tragik auf geniale Weise verbindet.
Zwar gab es zunächst aufgrund des vielleicht nicht ganz ethisch korrekten Vorhaben, siamesische Zwillinge zu erfinden und auf unterhaltende Weise zu verkörpern, einige Onlineproteste. Da in diesem Projekt aber soviel Liebe zum Detail steckt und die beiden Kunstfiguren nie ins Lächerliche gezogen werden, ebbte dieser schnell ab und man begann die beiden für ihre ehrlichen, wenn auch zum Teil durchgeknallten Songs zu lieben. Amanda Palmer wurde 1976 in New York City geboren und ist ein künstlerisches Multitalent. Sie ist Musikerin, Lyrikerin, Kaberettistin, und bildende Künstlerin. Bereits im Alter von zehn Jahren komponierte die Autodidaktin ihr erstes Musical. Bekannt wurde sie als die weibliche Hälfte der Dresden Dolls, eine Band, die sich dem Cabaret-Punk verschrieben hat und durch ausdrucksstarke Performances eine Namen gemacht hat. 2008 veröffentlichte Palmer ihr erstes Soloalbum ‚Who Killed Amanda Palmer‘, sowohl als CD, als auch als DVD, auf der alle enthaltenen Songs auch visuell umgesetzt wurden.
Der 1974 geborene Jason Webley begann als als Akkordeon spielender Musiker in den Strassen von Seattle, die Musik sehr von Shanties, Folk und Gipsy geprägt. Mittlerweile hat er bereits vier Alben veröffentlicht und spielt auf vielen Festivals und speziellen Tourneen (‚Monsters of Accordion Tour). Seine mitreissende Art und die Verschrobenheit (er fuhr lange Zeit einen zu einer überdimensionalen Tomate umgebauten Toyota Corolla) machen ihn zu einem Publikummagneten, dem man sich nur schwer entziehen kann.

Mit Gitarre, Klavier und natürlich Akkordeon instrumentieren die beiden Schwestern ihre Lebensgeschichte in traurig-schönen Songs. Bereits im selbstbetitelten Opener zeichnen sie die Herausforderung, die ihr Dasein mit sich bringt, in einem Wechselduett, das sich immer tragischer zuspitzt.
‚A Campaign Of Shock And Awe‘ dreht sich um die Kontroverse das künstlerischen Erfolges, der zum Großteils des Voyeurismus des Publikums geschuldet ist, eingebettet in einer luftigen Zirkusnummer.
Durchzogen wird das Album von den hörspielhaften Tracks, die die tragischen Ereignisse im Leben der Zwillinge nachstellt. Nun wäre das Album schwere Kost, wenn es nicht auch die flotten Stücke gäbe, die mit Charme und Witz Geschichten erzählen wie die Zeit, in der die Schwestern beim Hühnerzüchter wohnten (‚Chicken Man‘), oder die 30er-Jahre Cabaretnummer ‚Have You Seen My Sister Evelyn‘, die sich mit dem absurdem Thema beschäftigt, wo die Schwester wohl wäre, würde sie einmal verloren gehen.
‚You Only Want Me ‚Cause You Want My Sister‘ wird die geliebt-gehasste Verbündete dann sogar aus Eifersucht in einem herrlichen Country-Folk Song umgebracht.
Der Ohrwurm des Albums ist ‚Elephant Elephant‘, ein Kinderlied zum Mitsingen und Spaßhaben. Dieser Song war übrigens der erste des Duos und animierte sie aufgrund des Erfolges zur Aufnahme eines Longplayers.
Mit dem schwulstigen 80er-Popsong ‚My Space‘ nehmen die Beiden augenzwinkernd die Community aufs Korn, die sie berühmt gemacht hat, bevor sie sich mit einer herzzereißenden Ukele-Coverversion von Joy Divisions ‚Love Will Tear Us Apart‘ verabschieden.
‚Evelyn Evelyn‘ ist ein absolutes Konzeptalbum, das aufgrund seiner Komplettheit wohl auch das eizige dieses Projekt bleiben dürfte. Darüber muss man aber nicht traurig sein, denn Palmer als auch Webley haben zeitlebens so vieleverschiedene heisse Eisen im Feuer gehabt, das man sich über abwechslungsreichen Nachschub nicht sorgen muss.
Eine Mischung aus Zirkus, Cabaret und Pop mit Künstlern, die perfekt zwischen Spaß und Doppeldeutigkeit ihr grandioses musikalisches Können unter Beweis stellen.


http://www.evelynevelyn.com/
http://www.discogs.com/Evelyn-Evelyn-Evelyn-Evelyn/master/242601

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